Schmerzphasen Deep Dive
- 30.01.2024
- TATTOO LEXIKON
Das Schmerzspektrum beim Tätowieren ist in 5 verschiedene Phasen einzuteilen.
Du sitzt beim Tätowierer, hast über den gleich folgenden Schmerz noch nicht wirklich nachgedacht. Zwar hast du Respekt davor, aber deine Gedanken kreisten schon Tage zuvor nur um das Motiv, wie es wird, wie es am Ende aussieht, ob der gewählte Tätowierer einen guten Job macht und um alles Weitere, was hier noch hinzu kommt und dich für deinen Termin entsprechend in Euphorie versetzt. Du sitzt nun da, glückselig, begeistert und zufrieden mit dem Entwurf deines neuen Tattoos. Schlau wie man ist, fällt einem kurz vor dem Loslegen dann doch noch ein, ach ja das tat ja vielleicht weh!
Die erste Phase - Wahrnehmungsphase ist hier also die Empfindung, dass der anfängliche Schmerz intensiver ist als bisher in Erinnerung gewesen. In dieser Phase gilt es auf die optimalen Tätowier-Bedingungen zu achten. Hier spielen etliche Voraussetzungen eine Rolle.
Du solltest ausreichend gegessen haben, eine angenehme Kleidung tragen, ggf. Kopfhörer oder eine andere Art von Ablenkung dabei haben. Wichtig ist, dass du dies, ohne deinen Tätowierer bei seiner Arbeit zu stören, ausüben kannst. Du kennst dich selbst am Besten, daher geh da nach deinen eigenen Vorlieben und gestalte dir deine Zeit beim Tätowierer so angenehm wie möglich! Ausreichender Schlaf und ein richtiger Wasserhaushalt sollte unbedingt gegeben sein. Du kannst dir auch eine Decke, ein Handtuch oder einen Polster mitnehmen, damit du es ausreichend gemütlich hast. Vor dem Loslegen der Tattoo-Session vergewisserst du dich nochmals, dass für dich alles griffbereit ist, damit dein Tätowierer dann auch ohne Unterbrechungen arbeiten kann.
Nach dieser ersten Phase, welche ein paar Minuten bis eine viertel Stunde dauert, schlittert man in die zweite Phase - Abfindungsphase, sowohl der Kopf, als auch der Körper hat sich mit dem Schmerzbild arrangiert. Hier kann man mit diesem recht gut umgehen und hat das Gefühl alles im Griff zu haben, er wirkt in dieser Phase noch überschaubar. Das ist deine Chance! Diese Phase gilt es so lange aufrecht zu erhalten wie möglich! Keine Pausen einlegen, nicht an Schmerzen denken und vor allem nicht mit deinem Tätowierer über Schmerzen oder dein Empfinden darüber sprechen! Ihn interessiert es nicht, er hört diese Geschichte täglich mehrmals und für dich ist es keineswegs hilfreich, dem Ganzen soviel Aufmerksamkeit zu schenken! Ebenso können „nicht routinierte Künstler“ durch die Übertragung deiner Zweifel/Unsicherheiten schnell gestresst sein und aus der Mitte gebracht werden. Der Schmerz darf hier wieder nicht zum Thema gemacht werden, ihm darf die entsprechende Bühne nicht geboten werden. Positive Gedanken und ablenkende Gespräche sind hier die Devise! Bleib locker, beiß dir nicht auf die Zähne, spanne nicht an oder krall dich nicht an der Liege fest! Hältst du gegen und lässt den Schmerz nicht fließen, wird er stärker und du kommst am Ende nicht mehr damit klar. Du kommst jetzt ins Schwitzen und deine mentale Stärke ist nun gefragt! In dieser Phase kannst du deinem Körper mittels Elektrolytgetränken helfen, die Elektrolytkonzentration aufrecht zu erhalten. Wird diese nämlich während dem Andauern des Schmerzes verändert, merkst du das im Umkehrschluss auch an deinem Schmerzempfinden. Zucker wie Gummibärchen, Schokolade oder dergleichen können dir hier auch weiterhelfen, denn bei einem Unterzucker ist deine Schmerzgrenze schneller erreicht. Zusätzlich wirkt Zucker in unserem Gehirn auf die körpereigene Dopaminproduktion, ist kreislaufstabilisierend und hat daher positive Auswirkungen auf dein Tattoo-Erlebnis. Hier kommen auch deine Ablenkungen zum Einsatz, du kannst Musik hören, Buch lesen, mit dem Smartphone spielen, etc.
Nach 3-4 Stunden kommt in der Regel die dritte Phase, die sogenannte Erschöpfungsphase. Auch wenn deine Gedanken abschweifen, merkt dein Körper nach stundenlangen Strapazen trotzdem, dass hier schon einiges gemacht worden ist. Diese Phase ist die Prüfung, da gilt es mental so lange wie möglich stark zu bleiben. Der Schmerz steht vor der Tür und klopft immer lauter an, lass ihn nicht herein! Alles zuvor war noch leicht, die Bewährungsprobe wurde eingeläutet! Du solltest nicht resignieren, sondern akzeptieren! Akzeptiere also den Schmerz und versuche nicht dagegen anzukämpfen. Fordere ihn nicht heraus, nimm ihn gänzlich an! Halte still, werde nicht nervös und bewege dich so wenig wie möglich, ansonsten erschwerst du so dem Tätowierer seine Arbeit und die Sitzung dauert noch länger! Mach dir bewusst, jede Minute, die du hier länger durchhältst ist somit eine Minute weniger für folgliche Sitzungen. Denke hier in Teilschritten: eine Minute, noch eine Minute - einen Schritt nach dem anderen! Wenn du dich zu sehr reinsteigerst, macht hier eine Pause Sinn, um zu anderen Gedanken zu kommen und die eigenen Kräfte zu mobilisieren. Dein Körper hält bedeutend mehr aus, als dir dein Geist jetzt vorgaukeln will!
Die vierte Phase - Endgegnerphase. Du hast dem Endboss die Tür geöffnet und er wird in deinem Raum immer lauter. Er lenkt und steuert dich, er ist Herr deiner selbst! Der Körper schüttet Stresshormone aus, die dein Körperbefinden zu deinem Nachteil beeinflussen. Achte hier umso mehr darauf locker zu bleiben und dich nicht zu verbeißen. Solltest du einen Tunnel am Ende sehen, schaue nicht ins Licht, gehe nicht hindurch! Du willst das Smartphone nicht mehr halten, deine Hände sind zu schwach, um dein Buch zu halten und deine Süßigkeiten schmecken dir jetzt auch nicht mehr. Die Probleme, die du vorher draußen lassen und nicht mit ins Studio nehmen hättest sollen, sind dir jetzt auch egal, du hast jetzt im Moment größere! Du stellst fest, dass der Schmerz nicht nur in deiner Wohnung steht, sondern auch einen „Schremmhammer" dabei hat. Der Fortschritt bzw. das Aussehen deines Tattoos kümmert dich auch keineswegs mehr! Lass es weiterhin ,den Tätowierer anzusprechen, wahrscheinlich würdest du in diesem Moment eh nur zu Beleidigungen neigen! Beleidige ihn und seine Mutter nicht!
Die fünfte und letzte Phase - solltest du so weit kommen - ist die Verzweiflungsphase. Du sitzt nun zitternd am Beifahrersitz, der Endboss übernimmt das Steuer. Du kannst stolz auf dich sein, so weit gekommen zu sein, auch wenn du nun schweißgebadet bist und dir Tränen über die Wangen kullern. Solltest du nicht angeschnallt sein ist auch egal, am Tunnel bist du eh schon vorbei! Wenn du diese Phase angekratzt hast, kann es auch gut und gerne passieren, dass du am Abend zu Hause Fieber bekommst. Der Körper musste eine enorme Prozedur über sich ergehen lassen, da sind solche „Nacherscheinungen“ dann auch verständlich. Der Körper kann auch dies gut regulieren und händeln, auch wenn es wenn es für dich, in diesem Moment, gerade nicht so wirkt.
Das ist Sparta!
Gerard Butler